Mit Instrumenten und Autofedern


Endrik Baublies – Lahrer Zeitung vom 17. Juni 2024


Die Lahrer Stadtkapelle und das Freiburger Ensemble Aventure haben am Samstag im Parktheater und im Stadtpark mit einem sehr gelungenen Experiment überzeugt. „The Planting Chronicles“ hat den Rahmen eines konventionellen Konzertes gesprengt.
„The Planting Chronicles“ – das dritte Experiment der Stadtkapelle in vier Jahren – ist eine Weiterentwicklung der „Stillen Skulpturen“ (ebenfalls mit dem Ensemble Aventure) und dem „Kirchenkonzert“ in Sancta Maria. Komponist Daniel Smutny und Nicholas Reed, Dirigent der Stadtkapelle und Mitglied des Ensembles Aventure, haben vor der jüngsten Veranstaltung eine kurze Einführung gegeben.


Die Idee, die hinter „The Planting Chronicles“ steckt, ist es, gewohnte Strukturen und damit
verbundene Hörgewohnheiten radikal zu hinterfragen. Die Pflanzenchroniken (so die deutsche Übersetzung) lassen sämtliche Konventionen im Bereich Harmonie hinter sich. Ein Mittel dafür sind unterschiedliche Klangzentren und die damit verbundenen Abstände. Je nach Standort erlebten die Zuhörer sehr verschiedene Klangbilder. Klassische Musikinstrumente bieten zudem viele Möglichkeiten, Töne zu erzeugen, die gar nicht nach Klarinette, Trompete oder Saxofon klingen. Auch da überzeugte das Ensemble restlos. In einem Fall klang eine Collage fast nach einem unerlaubten Motorradrennen.

Lahr, Parktheater und Stadtpark: Die Stadtkapelle und das Ensemble Aventure inszenieren „The Planting Chronicles“ als Klanginstallation und Wandelkonzert; Leitung Nicholas Reed. © Endrik Baublies


„The Planting Chronicles“ waren gleichzeitig eine ausgefeilte Choreografie und ein taktgenaues Mit- oder Gegeneinander von maximal neun Gruppen, die den Park im Extremfall zwischen der Villa Jamm und dem Musikpavillon gleichzeitig bespielten. Der besondere Reiz – hier bot vor allem der weitläufige Stadtpark reichlich Gelegenheit – war die Möglichkeit für die Zuschauer, den Standpunkt zu wechseln und eine ganz andere Art von Klang zu erleben.

Das begann mit dem dritten von sieben Sätzen: „The Squill of Peru“ (deutsch: peruanischer
Blaustern). Vier Gruppen bespielten die zwei Foyers des Theaters, die Garderobe und den Platz vor dem Haupteingang. Das Treppenhaus im hinteren Teil des mittleren Foyers war der ideale Platz, um so viel wie möglich von zumindest drei Gruppen gleichzeitig zu erleben.

Lahr, Parktheater und Stadtpark: Die Stadtkapelle und das Ensemble Aventure inszenieren „The Planting Chronicles“ als Klanginstallation und Wandelkonzert; Leitung Nicholas Reed. © Endrik Baublies

Auch ein Pfau wird zu Teil der Inszenierung
Die Instrumentalisierung der einzelnen Gruppen spielte ebenfalls eine Rolle. Trommeln und Hörner gehörten zum Ensemble vor dem Eingang. Das war auch in den Foyers nicht zu überhören.

Nahezu unwirklich war eine Szene im Park. Auf der Wiese vor dem Labyrinth hatten sich
Posaunisten postiert. Einer der Musiker hatte die Stoppuhr im Auge – unabdingbar für die Choreografie. Das Ensemble folgte den Anweisungen – und an einer ganz anderen Stelle, von der Wiese aus nicht zu sehen – waren die passenden Töne zu hören. Die Klänge passten exakt zur sichtbaren Gruppe, die noch nicht spielte.


Das Ensemble wiederholte nach „Soistice“ (Sonnenwende) die Sätze in absteigender Folge.
„Wallflower of Eichstätt“ (Goldlack) unterschied sich im zweiten Teil des Wandelkonzertes erheblich von der gleichnamigen Collage, nur durch völlig andere Positionen der Musiker.

Lahr, Parktheater und Stadtpark: Die Stadtkapelle und das Ensemble Aventure inszenieren „The Planting Chronicles“ als Klanginstallation und Wandelkonzert; Leitung Nicholas Reed. © Endrik Baublies

Die Vielfalt der Klangfarben blieb in den meisten Sätzen erhalten, auch wenn Harmonien nahezu ausgeblendet waren. Zu einem geringen Teil wurden die Instrumente auch konventionell gespielt, und ungewohnte Instrumente, zum Beispiel riesige Federn, die aus der Lkw-Sparte stammen, rundeten die Collagen ab. Im Park waren es dazu Geräusche, die nicht vorhersehbar waren. Beide Ensembles wussten, dass der Pfau sein Hoheitsgebiet mit seinem schrillen und alles andere als harmonischen Pfeifen verteidigen würde. Die Zuhörer wurden da nicht enttäuscht.


Der Mut und die Fähigkeit der Lahrer Musiker, restlos alle Konventionen bei den Pflanzenchroniken über Bord zu werfen, waren – nach den zwei bereits sehr erfolgreichen Installationen – tatsächlich eine weitere Steigerung. Auch wenn das noch vor einem Jahr kaum vorstellbar gewesen war.
Schade war allerdings, dass das Parktheater bei der Ouvertüre „Spring Snowflake“
(Frühlingsknotenblume) und „Windflower“ (Buschwindröschen), den ersten beiden der sieben Sätze, nur etwa zur Hälfte gefüllt war. Seine Wiedergänger zum Finale erlebten sogar noch weniger Zuhörer. Dabei gab es am Ende noch ein ganz besonderes Bonbon: Die Saaltüren, geöffnet und geschlossen, waren Teil der abschließenden Installation